Mikropressur

Artikel aus der Deutschen Zeitschrift für Akupunktur 03/2002

Trennlinien

Mikropressur
Die Einführung der „Zärtlichkeit“ in die Akupunktur oder Die Kunst zu warten
von Dieter Heesch

Micropressure
The Introduction of „Sensibility“ in Acupuncture or the Art of Waiting Innovations and Related Techniques in Acupuncture
by Dieter Heesch

Zusammenfassung

Die Mikropressur ist in der Schmerztherapie der Nadelanwendung gleichwertig. Sie geht aber in manchen Anwendungsbereichen weit über die bisher bekannten Wirkungen der Akupunktur hinaus und eröffnet einige neue zusätzliche Anwendungsbereiche.

Jeder von außen schmerzfrei zu erreichende Punkt - unabhängig, ob Referenzpunkt für die Beeinflussung von Organen oder pathologisch verändertes Areal - reagiert in Richtung einer Homöostase ausreichend auf die alleinige Berührung mit einem Therapiestift.

Kriterien: Wurde der Punkt durch Auslösen eines Schmerzreizes gefunden, muss eine Erholungsphase von zehn Sekunden eingehalten werden. Nach Reizung des Punktes ist eine Reaktions-Ruhe-Phase von zwei Minuten abzuwarten. Für die Dosierung des Berührungsreizes gilt: Je reaktionsfähiger der Punkt, desto geringer sollte der Berührungsimpuls sein. Denn ein geringerer Reiz ist intensiver als ein grober. Regelungsstrukturen wie z.B. der Hormonhaushalt oder auch psychische Vorgänge sind oft durch nur eine Behandlung dauerhaft positiv beeinflussbar.

Es werden durch die Mikropressur bisher gängige Vorstellungen des Reizortes und der Reizart hinterfragt.

Summary

This is to present MICROPRESSURE, a new method of acupuncture, that excels the known effects of the classic acupuncture without using a penetrating needle. This is seen especially in diseases that involve disturbances of hormonal regulations. The necessity of finding the appropriate stimulus performing acupuncture according/in comparison to the stimulus in the field of homeopathy will be discussed.

Existing conceptions concerning location and form of stimulation in classical acupuncture will be questioned due to the use of Micropressure.

Due to the lack of pain and side effects of this new form of acupuncture it is pointed out that there is a large potential of acceptance and expansion of this method in many private practices.

Einleitung

Während der vierjährigen Anwendung der Mikropressur war auffällig, dass Kollegen (inklusive der Autor dieses Artikels) und Patienten große Probleme hatten, die erfahrene Wirksamkeit dieser Methode geistig zu realisieren, zu begreifen, dass mittels eines banalen Vorgangs, wie der kurzen Berührung der Haut an einem definierten Punkt, langjährig bestehende chronische Erkrankungen erfolgreich behandelt werden können.

Um diese neue Therapie überhaupt vermittelbar zu machen, möchte ich zunächst darstellen, wie es mir persönlich allmählich gelang, das Phänomen Mikropressur mental zu akzeptieren:

Einstein wird der Satz zugesprochen: „Man wird nur das sehen können, von dem man eine geistige Vorstellung hat.“ Therapeutisch wirkende Punkte wurden in China seit jeher tief genadelt. Wie Felix Mann [01] und Kellgren [02] beschrieben, werden bei der Nadelung von Faszien und Knochenhaut je nach Lokalisation immer Ausstrahlungssensationen ausgelöst, die einem bestimmten Muster folgen. Diese Ausstrahlungen und die erfolgreiche Therapie ließen dann für den Therapeuten einen - durch die Nadelung erzeugten - Energiefluss zwingend als logisch erscheinen. Wie diese Vorstellung in das philosophische Modell der Welt zur Zeit des Gelben Kaisers hineinpasste und damit akzeptiert werden konnte, hat Paul Unschuld [03] vor 2 Jahren in der DZA dargestellt.

H.-J. Kühn beschreibt in der Ärztezeitschrift für Naturheilverfahren [04] ein Modell, wie die möglicherweise in Europa entdeckte Akupunktur nach China kam und dort in der Therapie assimiliert wurde. Erst hier gelang es auf Grund der zufällig passenden (siehe Unschuld) philosophischen Interpretation der Welt, die Wirkung der Akupunktur erklärbar zu machen. Erst dadurch konnte die Akupunktur als Heilweise akzeptiert und bis heute tradiert werden.

Damit ergab sich aber auch eine Einbindung in einen Überbau, die verhinderte, dass die Wirkungsweise nochmals hinterfragt und überprüft wurde.

Seither wird hauptsächlich darüber geforscht, wie der Energiefluss durch eine Verstärkung des Reizes noch intensiviert werden kann. Erhitzen, Reiben, Elektrostimulation und Drehen sind bekannte Stimuli.

Nur für sensible europäische Konstitutionen wurde nach Möglichkeiten gesucht, zumindest den Schmerzanteil des Reizes durch Veränderung der Gleitfähigkeit der Nadel oder Anwendung von Laserlicht zu mindern.

Mittlerweile ist durch neuere Akupunkturverfahren (Mikroakupunktur nach Mann [05], Verwendung von Lumineszenzdioden in der von der Siener-Stiftung gelehrten NPSO (Neue punktuelle Schmerz- und Organtherapie) [06] eine neue Sensibilität für weniger drastische Verfahren entstanden. In der Kinesiologie wird allein durch Beklopfen von Sedationspunkten eine kurzfristige Schwächung der Muskelkraft erreicht . Bei der NPSO werden besonders psychotrope Punkte nicht länger als fünf Sekunden bestrahlt.

Es wird zwar gesehen, dass auch geringere Reize ausreichende Erfolge vorweisen können. Aber eine generelle Hinterfragung der Dosis als ganz wesentlicher therapeutischer Aspekt findet nicht statt.

Das erstaunt, denn mit der allgemein bekannten Arndt-Schulze-Regel [07] steht der oben dargestellten Auffassung eine zentrale Maxime der westlichen Komplementärmedizin gegenüber:

„Je geringer der Reiz, desto größer die Wirkung.“

Seit Paracelsus („Sola dosis facit venerum = die Dosis macht das Gift“) wird auf die Quantität des Reizes großer Wert gelegt. Die Titrierung der Dosis ist besonders in der Homöopathie Conditio sine qua non.

Erst durch den Kontakt mit anderen Kulturen, hier besonders der europäischen, besteht die Möglichkeit, die Akupunktur aus der Einbindung und Starrheit der Interpretation zu lösen.

Durch kybernetische Modelle, Chaostheorie etc. sind in unserer Vorstellungswelt mittlerweile Denkmodelle verankert, die uns ermöglichen, bisher gedanklich nicht fassbare Vorgänge in der naturheilkundlichen Therapie zu internalisieren. Wir können jetzt verstehen, dass minimale, ungemischte, einzelne Reize gezielter verarbeitet werden können als grobe Reize, die gleichzeitig noch die Information von Wärme, Vibration und Schmerz enthalten. Hier muss das Reaktionsorgan den sinnvollen Reiz aus dem Gemenge erst selektieren. Eventuell sind die Nebenreize auch dominanter, so dass es zu einer Unterdrückung der intendierten Information kommt.

Es ist uns nun möglich, die von der somatisch stofflich orientierten Schulmedizin abgelehnten komplementärmedizinischen Heilweisen als Therapien zu begreifen, die ihre Wirkung über Informationen vermitteln.

Das von Einstein postulierte Primat der Imagination mag für seine Entwicklungen zutreffen. Generell wird jedoch ein dialektisches Verhältnis aus Erfahrung und Imagination zu neuen Erkenntnissen führen.

Neue Erfahrungen ermöglichen Visionen, diese Visionen ermöglichen, Erfahrungen als etwas weiterweisendes Neues interpretieren zu können.

Auch im Bereich der Erfahrungen leben wir augenblicklich in einer Welt, die uns z.B. die Chaostheorie sehr intensiv spürbar werden lässt. Die Hardware des Computers läuft nur mittels der stofflich nicht fassbaren Software.

Schon der Verlust nur eines einzigen Bits im Betriebssystem verhindert das Anlaufen der EDV und damit eventuell sogar des gesamten Betriebes, z.B. einer Arztpraxis. Der Virus „Tschernobyl“ beschäftigt mich seit 3 Jahren immer noch.

Mit unseren täglichen Erfahrungen im Rahmen der Anwendungen der Informationstechnologie und den oben beschriebenen modernen theoretischen Modellen der Welt ist es vielleicht möglich, die Wirkungsweise der Akupunktur neu zu interpretieren.

Unter Beachtung obiger Ausführungen sollte es gelingen, der im Folgenden beschriebenen neuen Methode, die ich Mikropressur genannt habe, offen zu begegnen. Das halte ich für besonders wichtig, da ich vermute, dass hier eine Entdeckung gemacht wurde, die eventuell einen wesentlichen Fortschritt bei der Suche nach einem modernen Erklärungsmuster der Akupunktur bedeutet.

Entstehungsgeschichte der Mikropressur

Bei der „Neuen Schädelakukupunktur nach Yamamoto“ (YNSA) wird der richtige Sitz der Nadel durch den sofortigen Erfolg am erkrankten Organ kontrolliert [07]. Deshalb ist es sinnvoll, den Krankheitsstatus vor Therapiebeginn zu überprüfen. Letzteres hatte ich bei einer querschnittsgelähmten Diabetikerin mit einem Schulter-Arm-Syndrom vergessen. Bei dieser Patientin suchte ich den Akupunkturpunkt mit einem Messgriffel auf. Die Patientin wurde (diesmal erst nach der Lokalisation des therapeutischen Punktes) gebeten, den Arm zu heben, um den Status ante festzustellen. Zu aller Erstaunen war der Arm schon allein durch den minimalen Eingriff der Untersuchung völlig frei beweglich. Um den Erfolg zu stabilisieren wurde dann wie üblich eine Nadel an den Punkt gesetzt - mit dem Ergebnis, dass die Patientin den Arm jetzt nicht mehr heben konnte. Das hinterließ bei mir einen bleibenden und prägenden Eindruck.

Seit Dezember 1998 führte ich dann alle mir bekannten Verfahren wie YNSA, Auriculotherapie, Nasenakupunktur [08], NPSO, ECIWO [09], TCM-Akupunktur, Su Jok [10], und Akupunktur 2000 [11] nach diesem Verfahren durch.

Anfangs führte ich jeweils jede zweite Akupunktur nach der neuen Methode durch. Als sich herausstellte, dass gleichwertige Ergebnisse zu verzeichnen waren, verzichtete ich ganz auf die Nadeltechnik. Bis zum Beginn der Modellversuche der Krankenkassen, die ja die Anwendung der Nadel verlangen, habe ich völlig ohne Nadel „akupunktiert“, inzwischen seit drei Jahren täglich durchschnittlich 60 Patienten an vier Tagen pro Woche.

Weiterhin wurden im Laufe der Monate auch „Tenderpoints“, Gewebsverquellungen und Gewebsindurationen, Muskelverspannungen und Periostosen mit der dann Mikropressur (im Folgenden als MP abgekürzt) genannten Methode durchgeführt.

Immer war der Messgriffel auch gleichzeitig das therapeutische Instrument. Als optimal erwies sich ein Spitzendurchmesser von 1 mm. Nur bei Narbenbehandlungen waren spitzere Instrumente wirkungsvoller.

Im Lauf der Jahre machten wir (die Ärzte der Praxis und Kollegen aus dem Freundeskreis) Erfahrungen, die ich hier in Form kurzer Kasuistiken darstellen möchte. Dies sind Beispiele für die breite Anwendbarkeit der MP und ihrer besonderen Wirkungen:

Kasuistiken

In der Auswahl der Kasuistiken werden „Highlights“ beschrieben. Diese geben darüber hinaus aber auch Hinweise für die neuen Möglichkeiten, welche die MP eröffnet.

  1. Das spektakulärste Ergebnis wurde bei einer 83-jährigen Patientin mit Schulter-Arm-Syndrom erzielt. Wegen der Schwierigkeit, die Kompressionsstrumpfhose auszuziehen, wurde Ma 38 durch den Strumpf hindurch berührt, was zur sofortigen freien Beweglichkeit der Schulter führte.

  2. 22-jähriger Mann mit akuter Rhinitis, MP am Point de Jérôme, Di 20, Di 4 und Dü 3; an selbigen Tage erhebliche Erleichterung der Nasenatmung.

    Die beiden Kasuistiken zeigen die Möglichkeit auf, auch in der Kassenpraxis, in der die für jeden einzelnen Patienten zur Verfügung stehende Zeit nur knapp bemessen ist, dennoch begleitend die Akupunktur anzuwenden. Bei sicher zu palpierenden Punkten braucht sich der Patient nicht mehr auszuziehen. Die unterstützende Akupunkturtherapie z.B. eines Schnupfens bedarf eines Aufwandes von fünf Sekunden Behandlungszeit und einer anschließender Ruhephase von zwei Minuten (in der dann z.B. Karteieinträge durchgeführt werden können).

  3. 56-jähriger Mann, Scheidung nach 30-jähriger Ehe. Ein halbes Jahr später Paniksymdrom, Johanniskraut und Fluoxetin ohne Erfolg, daraufhin MP auf He 7 und Point de Jérôme; nach einer Stunde keine Panik mehr, auch nach zwei Wochen stabiler Zustand, Fluoxetin brauchte nicht mehr eingenommen zu werden.

    Jeder Mensch verarbeitet je nach endogener Veranlagung seelische Belastungen unterschiedlich. Das Beispiel zeigt die Möglichkeit, die Reduktion des endogenen Anteils einer Depression oder von Angststörungen zu bewirken. Oft führt die MP besonders im Bereich der Phobien schon bei einer einmaligen Anwendung zu einem lang anhaltenden Erfolg. Auch akute Panikattacken sind gut kupierbar.

  4. 9-jähriges Kind mit Konzentrations-, Lern- und Schlafstörungen. Einmalige MP am Sienerschen „Trigonum“ (= 3 Punkte am medialen Rand der Kniescheibe, von dem aus anscheinend Hypophyse, Hypothalamus und Zwischenhirn sehr gut zu beeinflussen ist (siehe Abbildung), seither keine Störungen mehr.

    Kinder reagieren bekanntermaßen sehr gut auf naturheilkundliche Therapien. Sie sind der Behandlung mit Nadeln jedoch nicht gut zugänglich. Nach meinen Erfahrungen reagieren sie nachhaltig auf die Anwendung der MP an psychotropen Punkten, was sie angstfrei über sich ergehen lassen. Dadurch sind hyperkinetische und schlafgestörte Kinder sehr gut ohne die bei Medikamenten häufigen Nebenwirkungen behandelbar.

  5. 31-jährige Ärztin, musste sich vor Patientenuntersuchungen die kalten Hände unter dem Wasserhahn wärmen, einmalige MP am Sienerschen „Trigonum“, seither (3 Jahre) warme Hände.

    Trigonum

    Abbildung: Trigonum (= gleichschenkliges Dreieck mit Seitenlänge von 12 bis 15 mm, je nach Proportion). 1. Hypophyse; 2. Hypothalamus; 3. Limbisches System

    Dieses Beispiel stellt die ebenfalls auffällig gute Beeinflussbarkeit von hormonellen Regelkreisen dar. Das „Trigonum“ der NPSO wirkt auf die Achse Hypothalamus-Hypophyse ein. Das ermöglicht eine Regulierung der Vasopressin-Inkretion. Dieses Hormon ist verantwortlich für die Hautdurchblutung von Händen und Füßen. Weiterhin lässt sich eine Disharmonie des weiblichen Hormonhaushaltes von diesem Areal optimal beeinflussen und damit z.B. Dysmenorrhöen und Migräne bessern.

    Im Bereich der Beeinflussung von „fluiden“ Strukturen wie Hormonregulierung und Psyche ist die Mikropressur der Nadel- Akupunktur anscheinend weit überlegen. (Unter dem Terminus „fluide“ subsumiere ich aus praktischen Gründen Strukturen, die nicht - wie z.B die durch die Knorpelzerstörung einer Gonarthrose bedingten Schmerzen - deutlich fassbar an konstante somatische Strukturen gebunden sind. Sie fallen durch eine endogene oder von außen beeinflussbare Variabilität in ihrer Ausformung auf.) Mir sind derart intensive und nachhaltige Therapieerfolge nach nur einer Akupunktursitzung vor Anwendung der MP nicht erfahrbar gewesen.

    Diese über Jahre nachhaltige Wirkung erscheint primär unglaubhaft. Ähnliche Erfolge sind jedoch gerade im Bereich der Psychotherapie auch von anderen Techniken bekannt. So kann manchmal eine einzige NLP-Intervention (Neuro-Linguistisches-Programmieren) [14] oder eine Behandlung mit der Methode EMDR (Eye-Movement-Desensitation-and-Reprocessing) [15] massive psychische Traumata wie Folterungserlebnisse soweit lindern, dass der Patient am sozialen Leben wieder teilnehmen kann.

  6. 14-jähriger Junge, rezidivierende Cephalgien bei Atlasblockierung links, einmalige MP am Querfortsatz von C 1 (zwischen Mastoid und aufsteigender Mandibel), danach sofortige Lösung der Blockierung und keine Kopfschmerzen mehr.

    Kinder leiden häufig unter Kopfschmerzen. Wie in der Kasuistik gezeigt, werden diese oft durch Blockierungen der HWS verursacht. Das „KISS“-Syndrom (Kopfgelenk-induzierte-Symmetrie-Störung = früher Torticollis congenitus) wird angeschuldigt, häufig ein ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-und Hyperkinesie-Syndrom) zu verursachen. Mit der MP kann so jeder Kinderarzt auch ohne manualtherapeutische Ausbildung helfen. So können oft lange Leidensgeschichten mit Psychotherapie und Spezialistenuntersuchungen vermieden werden. Da sich i.a. Wirbelgelenkblockierungen durch die Berührung des zugehörigen Tenderpoints lösen lassen, ist eine chirotherapeutische Intervention häufig nicht mehr erforderlich.

  7. Einjähriges Schielkind, 10 mal MP nach dem System von John Boel [12], nach Angaben der Eltern ca. 50 % Besserung.

    Die Boelsche Methode zur Behandlung von Augenleiden ist recht erfolgreich, aber extrem schmerzhaft. Die MP ermöglicht auch hier die Anwendung bei Kindern und anderen schmerzsensiblen Patienten.

  8. 54-jährige Patientin mit Lymphödem nach Mamma-Ca. Der behandelnde Lymphdrainagetherapeut war erstaunt über die Abschwellung des Armes nach einmaliger MP an Indurationen am Unterarm und des Lymphmeridians (Voll-Variation nach Siener) [13]. Ähnliche Erfolge sind bisher generell bei Lymphödemen aufgetreten.

    Dieses Beispiel weist einen durch die MP neu eröffneten Anwendungsbereich auf. Lymphödeme waren der Akupunktur bisher kaum zugänglich, da eine Verletzung des ödematösen Gewebes mit Nadeln streng kontraindiziert ist.

  9. 20-jähriger Fußballer mit Schwellung prätibial nach Prellung, MP am Rande und direkt auf der Schwellung, innerhalb von fünf Minuten Rückgang der Schwellung auf die Hälfte des vorherigen Volumens.

    Auch relativ akute Schwellungen lassen sich, wie das Beispiel zeigt, mit der MP sehr erfolgreich behandeln. Auch der Knochenhautschmerz nach Prellungen und Entzündungen von operierten Wunden kann in der Post-Akut-Phase mit der MP durch repetierendes Berühren erheblich gelindert werden.

  10. 28-jähriger Fußballer mit Adduktorenzerrung, seit drei Monaten in sportmedizinischer Behandlung, einmalige MP am Adduktorenansatz am Schambein und an Verhärtungen in der Muskulatur, seither keine Beschwerden mehr.

    Die gute Anwendbarkeit der MP in der Sportmedizin zeigt auch diese Kasuistik. Muskelverhärtungen und Tenderpoints reagieren sehr gut auf die MP. So können auch Rückenbeschwerden in der von Felix Mann beschriebenen Weise über die Behandlung von Tenderpoints der Bauchdecke - dort sehr gut zu tasten - einfach und effektiv gelindert werden.

  11. 45-jähriger Mann mit Dupuytrenscher Kontraktur re., Stadium II. Nach fünf Behandlungen mit MP Übergang in Stadium I.

    Irritierend, aber immer wieder reproduzierbar, ist die Beeinflussbarkeit von bradytrophem Narbengewebe, wie das Beispiel zeigt.

    Ob mit der Aufweichung und Mobilisation einer Narbe auch ein Auslöschphänomen im Sinne der Störfeldthese erfolgt, ist noch nicht untersucht worden, aber wahrscheinlich.

    Wie schon erwähnt lassen sich auch Sehnenganglien und Rheumaknoten durch die MP reduzieren oder gar zum Verschwinden bringen. Keloide sind jedoch nicht beeinflussbar, dafür aber CTS und Heberden-Arthrose.

Wichtig: Wenn bei der Suche nach dem Referenzpunkt ein Schmerz ausgelöst wurde, ist eine kurze Wartezeit von ungefähr zehn Sekunden vor der Durchführung der MP unabdingbar. Diese Zeit benötigt nach meinen Erfahrungen das System, um einen erneuten, nun gezielten Informationsreiz sinnvoll verarbeiten zu können.

Ganz wesentlich zum Erfolg der Technik gehört eine Ruhephase von zwei Minuten nach Setzen des Reizes, in der der Patient die Ausgangsposition nicht durch Drehen oder Aufstehen wesentlich verändern sollte.

Wie aus den Kasuistiken zu ersehen, ist die MP in allen Einsatzgebieten - TCM-Akupunktur, Mikrosysteme, Tenderpoint-Behandlungen und direkt am Ort pathologischer Veränderungen - wirksam.

Studien

Zur Objektivierung dieser Erfahrungen wurden von anderer Seite zwei Studien durchgeführt.

Die Ergebnisse dieser Studien werden später gesondert veröffentlicht. Eine Studie untersuchte die Auswirkungen von MP und des „Trigonums“ der NPSO auf Psyche und Hormonhaushalt. Die zweite Studie untersuchte die Anwendbarkeit der MP auf die Behandlung von Lymphödemen.

Beide Studien zeigen eine bisher nicht bekannte Effektivität der Behandlung bei der Anwendung der nadelfreien Version der Reizung von Akupunkturpunkten.

Der die zweite Studie durchführende Lymphtherapeut stellte fest, dass sich sogar Narben sehr gut durch die MP-Technik behandeln lassen.

Diese Erfahrungen führten zu einer weiteren Studie, in der nachgewiesen werden konnte, dass die Entwicklung einer Dupuytrenschen Kontraktur durch die MP zum Stillstand zu bringen ist. Beachtenswert ist hierbei, dass sogar das extrem bradytrophe Narbengewebe noch teilweise rückentwicklungsfähig ist.

Nach diesen Erfolgen war der Bann gebrochen und jede pathologische Veränderung im Bereich des Unterhautgewebes, der Muskulatur und des Knochens wurde „mikropressiert“:

Sehnenganglien ließen sich immer zum Verschwinden bringen, die Verhärtung eines Venenstranges nach Abklingen einer Thrombophlebitis wurde erfolgreich aufgelöst, Periostosen nach Prellungen verschwanden nach repetierenden Behandlungen (alle zwei Minuten), ebenso Ansatztendinosen wie bei der Epicondylitis und dem Fersensporn.

Folgerungen

Während der nun fast vier Jahre dauernden Anwendung der MP stellte sich heraus, dass hier nicht nur eine neue sanfte Methode zur Behandlung von Krankheiten über Akupunktur-, Mikrosystem- und Tenderpunkte gefunden wurde. Diese Methoden erfahren anscheinend auch eine neue Qualität.

Ich konnte feststellen:

  1. Die Mikropressur ist der Nadelanwendung im Bereich der Schmerztherapie gleichwertig.

  2. Die Mikropressur ist der Nadeltherapie in bestimmten Bereichen (Hormonhaushalt, Psyche) in ihrer Wirksamkeit weit überlegen.

  3. Die Mikropressur eröffnet der Akupunktur therapeutische Bereiche, in denen ihre Anwendbarkeit nicht bekannt (Lymphtherapie) oder vom Patienten (Kinder) nicht erwünscht war.

Diskussion

Der Entdecker des „Tenderpoints“ und Entwickler der „Counterstrain-Technik“, H. Jones [16] postulierte eine Ruhephase von 90 Sekunden bei Wirbelblockierungen und von 120 Sekunden bei Rippenblockierungen. Diese Zeitspanne musste abgewartet werden, bis nach schmerzfreier Lagerung des Patienten sich das Gelenk deblockierte und der zugehörige Tenderpoint sich vollständig auflöste.

Diese von Jones entdeckte Reaktionsphase scheint eine Art Naturkonstante zu sein.

Aus der Behandlung über Mikrosysteme (siehe z.B. Gleditsch: Reflexzonen und Somatotopien [17] ist bekannt, dass eine Interdependenz zwischen erkranktem Organ und Referenzpunkt eines Somatotops besteht. So, wie der Punkt als Reaktion entsteht, ist anders herum auch das Organ durch die Behandlung des Punktes therapierbar. Mit der MP des zugehörigen Tenderpoints ist also eine Blockierung erfolgreich anzugehen.

Diese Ruhephase war z.B. bei dem zu der neuen Therapie führenden Erlebnis mit der ersten Patienten nicht eingehalten worden. Der vorzeitig gesetzte Nadelreiz führte dann zu einer Informationsüberflutung und Zerstörung der erfolgreichen Umstrukturierung der Schultermechanik. Aus dem bisher Gesagten geht auch hervor, warum es wichtig ist, bei der Behandlung mit der MP keinen Schmerz durch die Pressur auszulösen: Durch Auslösung von Schmerz ist die Reaktionsfähigkeit des Punktes vorübergehend überfordert. Diese Reaktionsfähigkeit ist bei entzündlichen Prozessen generell nicht gegeben. So ist z.B. bei einer hochakuten Epicondylitis kein Therapieerfolg zu erzielen.

Hier liegt ein scheinbarer Widerspruch zur Akupressur vor, deren Wirksamkeit unzweifelhaft ist. Gerade hier wird der zu behandelnde Punkt über einen langen Zeitraum schmerzhaft massiert. Dass die Akupressur dennoch wirkt, mag vielleicht daran liegen, dass der Körper durch die lange Einwirkzeit des Reizes doch in der Lage ist, den intendierten Reiz, den Druck auf den Referenzpunkt, herauszufiltern und dann zu beantworten.

Ähnlich mag es sich bei der Akupunktur mit Nadeln verhalten. Hier wird nur anfänglich ein Schmerz verursacht, danach erkennt der Körper die an dem genadelten Punkt gegebene Information. Nadeln, die dauerhaft schmerzen, sind nach meinen Erfahrungen auch unwirksam.

Überlegungen zur Struktur des Akupunkturpunktes

Mit jeder Neu- oder Weiterentwicklung entstehen aber auch Fragen zu dem bisher Gültigen. Nach dem oben Beschriebenen scheint allein die Berührung der Haut an einer Stelle, die einem Reaktionspunkt entspricht, als Stimulus für eine Veränderung ausreichend zu sein.

Dieser Stimulus darf nur nicht zu stark sein, um als „reine“ Information aufgenommen werden zu können. Der Körper entscheidet dann über Verarbeitung dieser Information.

Alle bekannten Verfahren aus dem Umfeld Akupunktur - egal ob Laser oder Moxa oder PuTENS - arbeiten indirekt immer auch mit einer Berührung des Hautpunktes. Wenn der Schmerz nachlässt, kann auch der Nadelstich als ein Hautreizverfahren betrachtet werden.

Nehmen wir an, meine Erfahrungen mit der MP lassen sich durch eine breite Anwendung seitens der Leserschaft validieren. Dann wird sich die Frage nach der Definition des Akupunkturpunktes stellen: Bei SuJok, Akupunktur 200, YNSA und teilweise auch bei der Auriculotherapie sind sogenannte „Reaktionskügelchen“ unter dem Hautreferenzpunkt tastbar. Boel und Yamamoto fordern ein erfolgreiches Treffen dieser Kügelchen, um erfolgreich therapieren zu können. Yamamoto sticht dieses Kügelchen dann von schräg an. Wenn das Kügelchen getroffen ist, löst es sich allmählich auf und das erkrankte Bezugsorgan bessert seinen Zustand. Die Haut direkt oberhalb des Reaktions-Kügelchens lässt sich elektrisch ausmessen.

Yamamotos schräger Einstichpunkt zeigt jedoch keine Widerstandsveränderung. Das zeigt recht unzweifelhaft, dass der „Akupunktur-Punkt“ ein Konglomerat aus Veränderungen in verschiedenen Körperschichten ist. Dabei gehen die Veränderungen so sehr in die Tiefe, dass auch die Muskulatur, das Periost und sogar Gelenke unterhalb des auf der Hautoberfläche elektrisch messbaren Punktes mit in die Veränderung einbezogen sind. Wird das Gelenk manualtherapeutisch deblockiert, ist der Hautpunkt nicht mehr zu messen und das kranke Bezugsorgan in seinem Zustand gebessert.

Nach dem bisher Geschilderten drängt sich eine Vermutung auf:

Der Akupunkturpunkt ließ sich histologisch bisher deshalb nicht nachweisen, weil es ihn in der postulierten Eindeutigkeit nicht gibt.

Schlussbetrachtungen

In den letzten Jahrzehnten kam es im Bereich der komplementären Medizin zu einer inflationären Anwendung des Begriffes „Energie“ oder „energetisch“.

Unabhängig davon, ob es sich um eine Manualtherapie nach Dorn [18], eine homöopathische Medikation, eine Bicom-Therapie oder eine „Geistheilung“ handelt, immer wird der Eingriff als „energetisch“ tituliert.

Was haben diese Energien mit der durch Meridiane fließenden „Qi-Energie“ zu tun?

Durch den Gebrauch dieses diffusen Terminus Energie wird alles und nichts erklärt. Effektive Therapien geraten dadurch schnell in den Bereich des Mystischen. Damit lassen sich alternative Therapiekonzepte von der Schulmedizin (verständlicherweise) schnell über einen Kamm scheren und in die „Placebo-Schublade“ packen.

Die Wirkung der Mikropressur lässt sich dagegen kaum anders denn als „Informationstherapie“ begreifen. Ich möchte diesen Terminus als Erklärungsbegriff der Akupunktur zur Diskussion stellen. Mit diesem Begriff sind wir zwar auch nicht schlauer, da wir nicht wissen, wie die Informationen weitervermittelt werden. Aber wir können mit einer relativ unbelasteten „sauberen“ Hypothese arbeiten, die aus den in der Einleitung erwähnten Gründen auch eher von der naturwissenschaftlichen Medizin akzeptiert würde.

(Dass neuronale Erklärungsmuster, die an eine hierarchische Struktur gebunden sind - wie es besonders C. Gunn [19] vertritt - bei der Unzahl von konstanten und variierenden Reflexpunkten verschiedener Somatotope nichts taugen, liegt auf der Hand.)

Vielleicht wäre durch die Mikropressur, so sie sich denn durch breite Anwendung validieren lässt, ein Weg gefunden, diese Möglichkeit der nichtstofflichen, informativen Vorgehensweise auch der Schulmedizin begreifbarer zu machen. Mit dem Informations-Terminus kämen wir darüber hinaus aus der esoterischen Ecke und wären für die Schulmedizin wegen unserer nicht zu leugnenden therapeutischen Erfolge eher ernst zu nehmende Gesprächspartner. Es unterbliebe die so unendlich viele Energien bindende Auseinandersetzung der diametralen Standpunkte.

Aus: Forum Deutsche Zeitschrift für Akupunktur 2002; 197-202DOI: 10.1055/s-2002-34953

Literatur

Trennlinien

Dr. med. Dieter Heesch
Arzt für Allgemeinmedizin, Sportmedizin, Chirotherapie, Naturheilverfahren
Falkenring 1
21521 Dassendorf

Fax: 04104 / 97973

heesch@mikropressur.de